Geschichte: Ritual, Symbol, Repräsentation
Nationalfarben
Veröffentlicht am 13. März 2021 in Webdoku Oberstufe 2020 von Peter Gorzolla; zuletzt geändert: 5. August 2022
Links: #hsaka barcamp 2020, PDF-Fassung der Gesamt-Doku (gekürzt), PDF-Fassung dieses Teils (in Vorb.)
Autor*innen: Talita Pickl, Nele von Ohlen & Linus Ehle
Die offiziellen Farben der Bundesrepublik sind schwarz-rot-gold. Anders als viele andere Nationen hat Deutschland jedoch keine einheitliche Nationalfarben-Tradition. Während beispielsweise die Niederlande seit dem 16. Jahrhundert und Frankreich seit der Französischen Revolution auf eine Trikolore als Nationalsymbol zurückblicken können, gibt es in der jüngeren deutschen Geschichte eine vielfältige Abfolge an offiziellen Nationalflaggen und -farben. Wie kommt es dazu, dass sich Deutschland diesbezüglich deutlich von den Traditionen der meisten unserer Nachbarländer unterscheidet?
In unserer Arbeitsgruppe haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie es zur Flagge des heutigen Deutschlands kam und inwiefern hierzulande die Frage der offiziellen Farben nicht nur eine ästhetische, sondern auch stets eine politische war.
Ähnlich wie der Weg Deutschlands zum demokratischen Nationalstaat kein allein entscheidendes Datum kennt, erwachsen auch die Ursprünge der deutschen Nationalfarben aus verschiedenen Traditionssträngen.
Landläufig hält sich die Vorstellung, dass die Farben schwarz-rot-gold auf die Studentenbewegung des 19. Jahrhunderts zurückgehen, schmückten doch schwarz-rot-goldene Banner das Wartburgfest. Die Akteure der damaligen Bewegung wiederum hatten den Anspruch, die National-Farben des „Alten Reiches“ aufzugreifen, um diese der deutschen Vielstaaterei ihrer Gegenwart entgegenzustellen. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich hierbei jedoch eher um eine invented tradition, welche das Nationen-Konzept des 19. Jahrhunderts auf das Heilige Römische Reich rückprojizierte. Zwar waren die Farbkombinationen schwarz und rot sowie schwarz und gold (bspw. im schwarzen Adler auf goldenem Grund) durchaus Farben, die im Alten Reich verwendet wurden, sie waren jedoch nicht die Farben des Reichs. Als Staatenkomplex vormoderner Prägung hatte das Reich mit den Insignien Krone, Szepter und Lanze andere Formen staatlicher Symbol-Repräsentation.
Dies hielt die insbesondere in den Napoleonischen Befreiungskriegen an Dynamik gewinnende Nationalbewegung nicht davon ab, sich in diese (vermeintliche) Tradition zu stellen; man denke etwa an die Lützowschen Jäger und ihre schwarz-roten Uniformen mit goldenen Knöpfen.
Spätestens jedoch mit der gescheiterten Revolution 1848 waren schwarz-rot-gold diejenigen Farben, die der autoritären Vielstaaterei als Farben der Freiheit und eines demokratischen deutschen Nationalstaats entgegengestellt wurden. Dementsprechend war es kaum verwunderlich, dass der Norddeutsche Bund 1866 und das 1871 gegründete Kaiserreich unter preußisch-hohenzollernscher Führung schwerlich an diese Farbtradition des Paulskirchenparlaments anknüpfen wollten oder konnten.
Als Alternative dekretierte Bismarck die Farben schwarz-weiß-rot. Im Gegensatz zur bisherigen deutschen Trikolore war diese Kombination zwar geschichtlich „unverbraucht“, konnte aber dennoch durch den Austausch des Edelmetalls (Silber statt Gold) die Farbkombination schwarz-rot beibehalten. Analog zur lakonischen Einführung der neuen deutschen Nationalfarben war auch die Identifikation der Bevölkerung mit der Nationalflagge zunächst kaum ausgeprägt; im Vordergrund standen nach wie vor die regionalen Flaggen. Erst im zunehmenden Nationalismus der Ära Wilhelms II. änderte sich die emotionale Relevanz der schwarz-weiß-roten Flagge. Eine Sedan-Feier ohne schwarz-weiß-rotes Farbenmeer war kaum mehr denkbar.
Als 1918/19 die Monarchie in Deutschland in sich zusammenbrach, wurde dies auch in Form der Nationalflagge symbolisch zum Ausdruck gebracht. Anstelle der alten Flagge sollten nun offiziell schwarz-rot-gold die Farben des Deutschen Reichs werden. Gleichzeitig deuteten sich bereits die Bruchlinien an, unter denen die Weimarer Republik ihr gesamtes Bestehen lang „kränkeln“ sollte: Als Kompromiss mit den Konservativen ließen sich die Sozialdemokratie und das progressive Bürgertum von Seiten der Konservativen abringen, dass die Marine weiterhin schwarz-weiß-rot flaggen sollte. Unter der Präsidentschaft Hindenburgs wurde dies noch insofern verschärft, dass bei offiziellen Staatsanlässen Marine- und Nationalflagge gleichberechtigt nebeneinander hingen. Die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ der 1920er Jahre korrelierte dementsprechend auch in den deutschen Nationalsymbolen der damaligen Zeit.
Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde auch die Flaggenfrage neu gestellt. Einerseits zeigte Hitler in Mein Kampf durchaus Sympathie für die „jugendfrische Zusammenstellung“ [ebenda] der Nationalfarben schwarz-rot-gold, allerdings waren diese in seinen Augen inzwischen zu sehr durch Marxismus und Sozialdemokratie „verbraucht“. Doch auch eine reine Rückkehr zur alten Reichsflagge erschien nicht als das passende Symbol für die Bewegung des Nationalsozialismus. Dementsprechend wurde in Artikel 1 und 2 der Nürnberger Gesetze festgelegt: „Die Reichsfarben sind Schwarz-Weiß-Rot.“ (Art. 1) sowie „Reichs- und Nationalflagge ist die Hakenkreuzfahne. […]“ (Art. 2).
Ein ähnliches Phänomen findet sich auch innerhalb der schwarz-rot-goldenen Traditionslinie. Ähnlich wie die Farben schwarz-weiß-rot zwar ursprünglich die Farben des autoritär-monarchischen Nationalstaats waren, anschließend jedoch im Nationalsozialismus nur ikonisch transformiert aufgegriffen wurden, griffen die konservativen Verschwörer um Graf Stauffenberg auf die Farben schwarz-rot-gold zurück. Im Anschluss an den Sturz Hitlers, so der Plan, sollte die nach ihrem Erfinder benannte „Wirmer-Flagge“ zur neuen Nationalflagge werden. Anders als in der „traditionellen“ Trikolore waren die Nationalfarben hier jedoch, ähnlich den skandinavischen Flaggen, in Form eines Philippus-Kreuzes kombiniert. Nach dem Krieg wurde die Wirmer-Flagge noch wenige Jahre von CDU und FDP aufgegriffen, geriet jedoch bald angesichts der erneuten schwarz-rot-goldenen Trikolore mehr oder weniger in Vergessenheit.
So könnte man meinen, dass die Frage der deutschen Nationalflagge inzwischen zu einem Abschluss gekommen ist und sich die schwarz-rot-goldene Trikolore endgültig durchgesetzt hat. Interessanterweise finden jedoch seit einiger Zeit Wirmer-Flaggen auf Pegida-Demonstrationen eine gewisse Renaissance. Auch innerhalb der „Reichsbürger-Bewegung“ wird vermehrt auf die Wirmer-Flagge als Alternative zu bundesrepublikanischen Symbolen zurückgegriffen.
Wenig spricht aktuell dafür, dass es hierüber zu einer erneuten Änderung der deutschen Nationalflagge kommen wird. Andererseits zeigt sich am Beispiel der Wirmerflagge paradigmatisch, wie relevant nach wie vor das Wissen um die Geschichte der deutschen Nationalflaggen ist, um politischen Geschehnissen der Gegenwart fundiert begegnen zu können.
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