Dokumentation des #hsaka barcamp 2020: Musisch-kulturelle Kurse
Online-Chorproben
Veröffentlicht am 12. März 2021 in Webdoku Oberstufe 2020 von Peter Gorzolla; zuletzt geändert: 5. August 2022
Tags: Stella Dörner
Links: #hsaka barcamp 2020, PDF-Fassung der Gesamt-Doku (gekürzt), PDF-Fassung dieses Teils (in Vorb.)
Autorin: Stella Dörner
The experience will not only keep your choir singing, but it will also give them encouragement, hope, and peace through these times.
http://spotlight.wordchoralclub.com/pages/1790961/22049
Chöre auf der ganzen Welt haben die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie zu spüren bekommen. Viele von ihnen sind aus der Not heraus, nicht mehr gemeinsam singen zu dürfen, in kürzester Zeit kreativ geworden und haben das Format der Online-Proben ins Leben gerufen. Ebenso ist es auch meinen Chören ergangen, daher möchte ich meine Erfahrungen und Erkenntnisse hier festhalten und allen zur Verfügung stellen, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen oder einfach nur neugierig sind.
Im Folgenden wird der Einfachheit halber bei allgemeinen Personenbezeichnungen nur die maskuline Form angegeben. Selbstverständlich ist die feminine Form stets impliziert.
Gründe für Online-Chorproben
Chorproben in den digitalen Raum zu legen, kann viele Gründe haben. Ausgehend von der offenkundigen Notwendigkeit, den Chorbetrieb aufrecht zu erhalten, kann das Format die Verbundenheit der Chormitglieder untereinander bzw. den Sinn für Gemeinschaft stärken. Besonders in Zeiten der Isolation ist ein Gemeinschaftssinn sehr wichtig; soziale Kontakte (wenn auch digital) sind gut für die Seele und helfen die Menschen daran zu erinnern, dass sie nicht alleine in dieser Ausnahmesituation sind. Abgesehen von der Möglichkeit, weiterhin Musik machen und sich verbessern zu können, kann es für viele ein Termin in der Woche bedeuten, auf den man sich freuen kann; der eine Art Routine herstellt, die etwas Normalität in diese verrückte Zeit bringt. Selbst wenn sich einzelne Sänger möglicherweise in einem anderen Land oder Bundesland aufhalten, können alle im digitalen Raum zusammenfinden und gemeinsam die Energie und Leidenschaft im Chor pflegen. Dies kann sogar eine Chance darstellen, auch nach der Rückkehr zu physischen Proben die technischen Möglichkeiten weiterhin zu nutzen, um Menschen zusammenzubringen. Gerade im Hinblick auf die Zeit, wenn gemeinsames Singen (v. a. in größeren Gruppen) wieder sicher und erlaubt ist, können Online-Proben eine gute Möglichkeit der Vorbereitung sein; besonders wenn es um mögliche Konzerte geht. Außerdem eröffnet sich die Gelegenheit, sich auf besondere Lernaspekte fokussieren, für die sonst nur wenig Zeit ist, wie etwa Gesangstechnik, Blattsingen, Performance, Erarbeitung von neuem Repertoire etc.
Technische Aspekte
Die erste Priorität bei Online-Chorproben ist, dass die SängerInnen den/die ChorleiterIn gut sehen und hören können. Besonders gute Erfahrungen habe ich mit folgender Ausstattung gemacht:
- Computer
- Webcam
- E-Piano
- Mikrofon mit Ständer
- Interface
Der Anschluss des Mikrofons sowie E-Pianos an den Computer über ein Interface sorgt für einen glasklaren, rauschfreien Klang am Endgerät; ohne ein solches muss man damit rechnen, dass bestimmte Frequenzen nicht wiedergegeben werden oder gleichzeitiges Singen und Klavierspielen sich gegenseitig auslöscht.
Leider ist gemeinsames Singen aufgrund der zeitlichen Verzögerung der digitalen Signale nicht möglich; die Sänger müssen während der Probe stumm geschaltet sein. Folglich können die Sänger sich auch nicht gegenseitig hören. Ein nicht zu verachtender Vorteil gegenüber physischen Proben ist allerdings, dass alle permanent gleichzeitig singen können; niemand muss warten, bis eine andere Stimmgruppe fertig ist, sondern kann währenddessen seine eigene Stimme weiterüben. Ein weiterer großer Vorteil dieser Aufstellung ist, dass alle den/die Chorleiterin zu jeder Zeit gut sehen können, was bei großen Chören physisch nicht immer gegeben ist (das erleichtert z. B. Formen von Vokalen etc., da man die Mimik des Chorleiters besser spiegeln kann). Außerdem können die Proben aufgenommen werden, sodass sie allen Sängern jederzeit zur eigenständigen Rekapitulation zur Verfügung stehen. Ferner erlaubt z. B. der Anbieter Zoom sogenannte „break-out-rooms“, die kleinere Gruppenbildung innerhalb eines Meetings erlaubt; für meine eigene Chorarbeit nutze ich diese Option jedoch nicht.
Eine Sache, die es noch zu beachten gilt, ist dass die SängerInnen die Noten entweder in Papierform oder auf einem zweiten Endgerät (z. B. Tablet) vorliegen haben sollten, da das Wechseln zwischen Noten und Online-Probe auf einem Endgerät etwas mühselig werden kann.
Methodisch-didaktische Aspekte
Wenn man den Umstand akzeptiert, dass man digital zwar gleichzeitig, jedoch nicht gemeinsam singen kann und den Fokus auf die individuelle Entwicklung und Selbst-Evaluation der Sänger legt, eröffnen sich neue Lernbereiche, die in physischen Proben selten Raum finden.
Die SängerInnen hören nur sich selbst und den Chorleiter. Dies kann zu Beginn eine gewisse Hemmschwelle darstellen, doch wenn diese einmal überwunden ist, lernen die Sänger den Klang und die Funktionsweise ihrer eigenen Stimme besser kennen. Darüber hinaus üben sie, ihre Melodie alleine zu halten, oft sogar gegen eine andere Stimme, was eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit ist. Dadurch entwickelt sich eine neue Fehlerkultur: Sänger lernen, schwierige Stellen selbst zu lokalisieren und diese dem Chorleiter rückzumelden. Dieser kann dann darauf eingehen und die entsprechenden Stellen wiederholen bzw. die Methode des Einstudierens anpassen. Der Chorleiter kann zwar kein direktes Feedback zur Umsetzung geben, dafür jedoch zumindest antizipatorische Hinweise auf Basis von Erfahrungswerten geben; auch das häufigere Widerholen von Passagen als beim physischen Proben unterstützt den Lernprozess. Außerdem können sich die Sänger ihre eigene Videofunktion zunutze machen, indem sie sich selbst beim Singen beobachten und mit dem Chorleiter vergleichen.
Der Umfang einer Online-Chorprobe sollte m.E. nicht länger als eine Stunde betragen, da die Konzentration der Sänger im Vergleich zu physischen Proben stark erhöht ist und sich dementsprechend Ermüdungserscheinungen früher einstellen. Hilfreich können in diesem Kontext kleine RoutineElemente wie Warm-Ups oder etwas Zeit für privaten Austausch nach der Probe sein, da sie die Situation vom Alltag abgrenzen und eine positive Atmosphäre schaffen können.
Chancen und Herausforderungen
Alleine zuhause zu singen stellt verständlicherweise für viele eine gewisse Hemmschwelle dar; sei es, weil man den eigenen Klang der Singstimme nicht gewohnt ist, oder weil man nicht gerne von Familienmitgliedern, Mitbewohnern oder Nachbarn gehört werden möchte. Auch eine schlechte Internetverbindung oder ein zu kleines Endgerät kann Unbehagen auslösen, wenn dadurch das Gefühl eines mitsingenden „Gegenübers“ nicht zum tragen kommt. Hinzu kommt, dass der Chorleiter nicht wie gewohnt präzises Feedback geben kann, also nicht auf den „angebotenen“ Klang der Chorsänger reagieren kann. Hier spielen Erfahrungswerte eine wichtige Rolle: der Chorleiter kann Schwierigkeiten in einem Stück antizipieren und diese vorbeugend thematisieren.
Eine positive Auswirkung dieses Settings kann aber sein, dass die Sänger sich in Autonomie üben; eben aufgrund des fehlenden Feedbacks tragen sie eine höhere Eigenverantwortung, Fehler und Schwierigkeiten zu erkennen sowie zu artikulieren und den musikalischen Ausdruck des Chorleiters zu übernehmen. Diesbezüglich spielt die direkte Spiegelung des Chorleiters durch die Sänger eine wichtige Rolle, was Ersterem die Chance bietet, die eigenen Vorstellungen eines Stückes möglichst präzise vorzusingen. Normalerweise würde ein Chorleiter darüber hinaus eher selten mit dem Chor gemeinsam singen; da dies bei Online-Proben jedoch eher die Norm als Ausnahme ist, kann die direkte Spiegelung umso leichter fallen, da sowohl die auditive als auch die visuelle Komponente unmittelbar wahrgenommen werden. Eine Herausforderung für den Chorleiter könnte dabei das gleichzeitige Klavierspielen und Singen einer bestimmten Chorstimme sein, was je nach Schwierigkeitsgrad des Stückes gut vorbereitet sein muss. Außerdem muss der Chorleiter entscheiden, ob er konsequent am Klavier begleitet oder auch einzelne Passagen in die Kamera dirigieren möchte; dies ist m. E. stark von den bisherigen individuellen Gewohnheiten abhängig.
Ein weiterer praktischer Vorteil von Online-Proben ist die Tatsache, dass der Anfahrtsweg wegfällt. Dadurch werden auch mehrere kurze Proben im Laufe der Woche möglich, was sich auch auf die Motivation der Sänger auswirken kann; nach einem langen Home-Office-Tag vor dem Computer kann eine kürzere Probe für viele ein Anreiz sein, sich für die Teilnahme an der Probe zu entscheiden. Darüber hinaus können im Gegensatz zu physischen Proben auch solche Chormitglieder teilnehmen, die möglicherweise krank sind; indem sie zuschauen und mithören, verringert sich das Risiko, dass sie etwas verpassen.
Auf der technischen Seite bieten viele Plattformen wie zoom die Möglichkeit, Sitzungen aufzunehmen. Wenn man das nutzt, stehen allen Sängern die Inhalte auch außerhalb der Proben zur Verfügung und können zum eigenständigen Üben verwendet werden. Während einer Probe ist außerdem die Interaktivität zwischen Sängern und Chorleiter gegeben: es können jederzeit durch das selbstständige „Entstummen“ oder über den Chat Fragen gestellt werden, auf die der Chorleiter eingehen kann. Gleichzeitig ist die Effizienz einer Probe im Vergleich zum physischen Gegenstück gesteigert, da das Schwätzen mit dem Nachbarn wegfällt und dadurch eine höhere Konzentration herrscht. Dennoch bietet das Online-Format allen Beteiligten die Gelegenheit, sich etwas privater zeigen zu können, etwa wenn die eigenen Kinder oder Haustiere vor der Kamera erscheinen. So können sie einander auf eine andere Weise wahrnehmen und besser kennen lernen.
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