Geschichte: Ritual, Symbol, Repräsentation

Propaganda

Veröffentlicht am 13. März 2021 in Webdoku Oberstufe 2020 von ; zuletzt geändert: 5. August 2022

Links: #hsaka barcamp 2020, PDF-Fassung der Gesamt-Doku (gekürzt), PDF-Fassung dieses Teils (in Vorb.)

Autor*innen: Lena Flath & Anna-Franziska Moritz

Die Auseinandersetzung mit Propaganda ist fest im schulischen Geschichtsunterricht verankert: Reden werden nach rhetorischen Mitteln analysiert und deren Intentionen interpretiert; Plakate werden beschrieben, Symbole, Schriftzüge und Farben auf deren Gehalt hin expliziert. Doch welche Medien werden sonst noch zu Propagandazwecken verwendet? Wo finden wir Rituale innerhalb der Propaganda? Welches Medium ist am besten geeignet, um ein möglichst großes Publikum zu indoktrinieren?

Wir haben uns mit der Propaganda im Dritten Reich anhand des filmischen Materials aus Triumph des Willens beschäftigt. Grundlegend für unsere Arbeit waren Texte von Kristina Oberwinter, die sich mit der Repräsentation und Produktion von Emotionen des besagten Films von Leni Riefenstahl befasst hat. Diesbezüglich haben wir uns vor allem mit der Inszenierung des Politischen und dem Film als Propagandamedium, Gestaltungsmitteln des Films, der Erzeugung von Emotionen und der Wirkung von Masseninszenierungen auseinandergesetzt.

Um uns die Denkweisen der damaligen Zeit hineinversetzen zu können, haben wir uns innerhalb der Sitzungsvorbereitung mit Walter Benjamins Definition der Ästhetisierung von Politik und Le Bons Werk Psychologie der Massen (1895) beschäftigt.

Für Benjamin, einem wichtigen deutschen Philosophen und Kulturkritiker des 20. Jahrhunderts, war die Ästhetisierung von Politik eng verbunden mit dem Phänomen des Faschismus: Der Faschismus versuche, die Forderung nach der Beseitigung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse durch die Verwendung von ästhetischen Mitteln zu verhindern. Der Scheincharakter der sozialen Harmonie benötige demnach ein ästhetisches Ausdrucksmittel in der Öffentlichkeit, um symbolhaft zu erfüllen, was real versagt worden sei. Die permanente Inszenierung sei somit für die Stabilität des Regimes unerlässlich, um von der sozialen und politischen Wirklichkeit und den inhärenten Widersprüchen innerhalb des Systems abzulenken.

Le Bon wiederum, ein französischer Psychologe, Soziologe und Anthropologe, ging davon aus, dass Individuen innerhalb der Masse auf eine gefühlsbetonte, irrationale Entwicklungsstufe zurückfallen, innerhalb welcher sie animalische Eigenschaften entwickeln würden. Der Mensch innerhalb der Masse sei naiv, leicht empfänglich, manipulierbar und handele triebbedingt wegen ihres mangelnden Urteilsvermögens. Aufgrund der vorausgegangenen Aspekte und der Tatsache, dass die Masse nur bildlich denken könne, würde sich die visuelle Ebene anbieten, um die Massen zu beeinflussen.

Nach der Klärung unserer theoretisch-methodischen Grundlagen wandten wir diese in einem zweiten Schritt an, genauer gesagt in der Untersuchung der ästhetischen Verschränkung von Medium und Ideologie des NS-Propagandafilms Triumph des Willens. Was macht diesen Film so besonders? Die Antwort hierauf vollzieht sich auf mehreren Ebenen.

Zunächst spricht der Film alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen an. Generell ist die emotionale Wirkung intensiver und dauerhafter, sofern der Film von einem Massenpublikum gemeinsam geschaut wird. Ebenso erfolgt eine ideologische „Betäubung“ der Massen.

Das Medium dient einerseits als Flucht aus dem Alltag, täuscht Freiheit und Wohlbefinden vor, fördert den Optimismus, aber erzeugt andererseits auch eine erzieherische Wirkung und eine Ausübung von emotionalem Druck. Durch die Simulation von Emotionen kommt es zur Unterdrückung des Intellekts der Zuschauer.

Prinzipiell dient das Kino als Ort der Suggestion, da der Film eine Illusion fördert. Es wird ein verändertes Zeit- und Raumgefühl erzeugt, das ein intensives Körpererlebnis vermittelt. Gründe dafür sind, dass die Sehweise des Menschen durch den Film vertieft und erweitert wird. Zudem ermöglichen die Einstellungsgrößen der Kamera eine Isolation, Integration, Relativierung oder Verabsolutierung der Bildobjekte. Ebenso werden rezeptive Mechanismen emotionaler Identifikation und einfühlender Verhaltensweisen ausgelöst.

Der Film dient somit als Mittel der Imagination und projiziert einer Scheinwelt. Durch die räumliche Situation entsteht eine hohe Bereitschaft für die emotionale und psychische Identifikation mit dem Filminhalt.

Aus heutiger Sicht stellt man sich jedoch die Frage, was das Besondere ein einem einzigen Kinofilm sein soll. Hierbei ist zu bedenken, dass Kinofilme zur Zeit des Faschismus noch ein relativ neues Phänomen darstellten und die Mehrheit des Publikums dementsprechend eine relativ unreflektierte Zuschauerrolle einnahm. Filmische Stilmittel, die uns heute selbstverständlich erscheinen, waren in den 1930ern noch ein Novum. Auch der Gang ins Kino war weniger individualisiert als heute und wurde als explizites Gemeinschaftserlebnis inszeniert.

Generell wird durch den Kontrast aus Licht (Leinwand) und Dunkelheit (Saal) ein absoluter Fokus erzeugt, dem man sich nur schwer entziehen kann. Durch die räumliche Situation kann eine emotionale Identifikation erleichtert werden. Insbesondere im Dritten Reich galt das Kino als wichtigstes Massenmedium. Es sollten vor allem Emotionen transportiert werden.

Innerhalb des Films positionierte Leni Riefenstahl die Kamera so, dass nicht Hitler, sondern „das Volk“, vertreten durch die dargestellten Menschen(massen), im Mittelpunkt stand. Die Perspektive wurde so gewählt, als würde das Publikum selbst hinter den dargestellten Personen stehen. In einem vollgefüllten Kinosaal wurde eine Verlängerung der Masse auf der Leinwand durch die Menschen im Kinosaal erzeugt, wodurch das Publikum das Gefühl bekommen konnte, selbst Teil der abgebildeten Masse zu sein. Damit wurde eine Realität vorgetäuscht, die zugleich die Begeisterung der abgebildeten Massen auf das Kinopublikum zu übertragen in der Lage war, so dass man sich gut vorstellen kann, wie einige Zuschauer sich der dargestellten Begeisterung anschließen und selbst den Hitlergruß ausführen.

Doch woher kam diese Begeisterung dafür, Teil einer Masse zu sein? Woher entstand die Sehnsucht nach Bindung und Gemeinschaft in den späten Jahren der Weimarer Republik und den Anfangsjahren des NS-Regimes?

Wir sehen die Wirkung von Triumph des Willens innerhalb des NS-Propaganda eng verbunden mit der historischen Ausgangssituation: Kaiserabdankung, Kriegsniederlage und Revolution hatten die deutsche Bevölkerung nachhaltig geprägt und in eine Depression gestürzt. Wirtschaftskrise, Inflation und folgende Massenarbeitslosigkeit führten zur Existenzunsicherheit. Zudem mündeten Industrialisierung und Technisierung in der Entwurzelung des Individuums, da gesellschaftliche Bindungen erloschen. Beunruhigend war ebenso der ständige Regierungswechsel und dass sich keine absolute Mehrheit mehr finden ließ (Splitterparteien). Insgesamt gesehen kam es aufgrund der aufgeführten Aspekte zur Desillusionierung und Verunsicherung, wodurch die Forderungen nach emotionalem Halt und ästhetischem Ausgleich, um die bestehende Misere zu verdecken immer größer wurden. Die Gesellschaft und das politische System befanden sich in einer tiefen Krisensituation.

Der Nationalsozialismus versuchte, diese Krise durch das Führersystem zu lösen – mit Adolf Hitler an der Spitze, auf den „das Volk“ (verstanden im Sinne des Weberschen Charismakonzepts) seine Hoffnungen und Sehnsüchte projizieren konnte. Hitler selbst war allerdings vom Volk ebenso abhängig, weswegen er stets darauf achten musste, den Wünschen des Volks gerecht zu werden, um seine Macht zu legitimieren.

Das Volk hatte sich im Laufe der Zeit immer mehr den Anforderungen und Gesetzgebungen Hitlers anzupassen, sodass der individuelle Spielraum immer geringfügiger wurde und kleinste Verstöße große Strafen nach sich zogen. Die NS forderte Opferbereitschaft und Hingabe und bot im Gegenzug Annehmlichkeiten wie Konsumgüter und Nahrungsmittel. Es wurde demnach nicht nur durch Zwang, sondern auch durch den Appell an das Imaginäre regiert.

Bedenkt man diese Rahmenbedingungen, wird deutlich, welche Relevanz die Emotionalität der filmischen Erzählung Riefenstahls hatte. Der Film gibt bestimmte Adäquatheitsregeln vor, die das kollektive Gefühlsleben steuern sollten. Wie innerhalb eines Modells gibt der Film wieder, welche Emotionen gesellschaftlich akzeptiert waren und welche besser unterlassen werden sollten. Zur Stabilisierung und Popularisierung des Systems fungierte die Darstellung von Euphorie. Es erfolgte somit eine Nationalisierung des Gefühlslebens, die auf der Gleichschaltung von subjektiven und nationalen Interessen basierte. Durch den Film wurden Gemeinschaftsfremde und „Volksfeinde“ auch emotional stigmatisiert. Parteitage wurden als heterotopische Räume auch für die Filmzuschauer erlebbar, in denen die Ideologie des NS als realisiert veranschaulicht wurde.

Ein dritter zentraler Aspekt für das Besondere an Triumph des Willens ist die inszenierte symbolisch-rituelle Verschränkung von Akteuren und Zuschauern. Rituale bringen Machtverhältnisse zum Ausdruck und erzielen eine formale Betonung expliziter Bedeutungsinhalte. Innerhalb von Triumph des Willens wird die Ideologie in motorische Aktivitäten transformiert, wodurch geordnete Massen geformt werden konnten und die Beteiligten einen Raum für Anspannung und das Erfassen körperlicher Leitwerte erhielten. Der kollektive Rhythmus erschuf Gemeinschaftserlebnisse und verdeutlichte sowohl für Beteiligte als auch für Zuschauer sinnlich, dass sie Teil eines Kollektivs waren. Es sollte eine gemeinsame Wirklichkeit etabliert werden, die gemeinsame Formen der Selbst- und Weltwahrnehmung enthielt. Demnach sollten performative Rituale ein spezifisches Wissen samt Verhaltensdispositionen erwecken und mobilisieren.

Innerhalb des Rituals fanden sich die Beteiligten symbolisch zu einer gemeinsamen Aktivität zusammen, wodurch der Fokus auf die gemeinsamen Interessen als Grundlage der Verbundenheit fiel. Das Ritual forderte die Angleichung der eigenen Meinung an die herrschende Meinung, wodurch Befriedigung und Freude entstanden. Die gemeinsame Aktivität ließ das Individuum Teil eines großen Ganzen werden, wobei gesellschaftliche Zuordnungen etc. in den Hintergrund rückten. Im Vordergrund stand die kollektiv erbrachte Leistung, die die Teilnehmer mit Stolz und Befriedigung erfüllte.

In Triumph des Willens wurden insbesondere Choreographien rituell inszeniert. Auf den Zuschauer wirken hierbei Schönheit, Schnelligkeit, Synchronizität und Kraftfülle einer Bewegung ansteckend, können mitreißen oder disziplinieren. Hierbei wurde die emotionale Selbstständigkeit des Individuums zugunsten seiner Integration in das Motiv der Masse aufgehoben. Als Ziel galt es ein Emotionskollektiv zu erschaffen: Die formierte Masse und der Zuschauer sollten sich gegenseitig erheben. Die Begeisterung des Publikums bekräftigte das Dargestellte und ließ viele Vorgänge erst sinnhaft wirken.

Innerhalb unserer Sitzung bekamen die anderen Kursteilnehmer*innen mehrmals den Auftrag, sich in die Rolle eines Diktators / einer Diktatorin zu versetzen, der/die gerne einen Propagandafilm drehen würde. Hierbei sollte analysiert werden, wie gut sich unsere Erkenntnisse auf die die Verfahren und Besonderheiten des Mediums Film abbilden ließen. Dazu haben wir sowohl Filmsequenzen wie Standbilder herangezogen, um uns deren Gestaltungselemente und vermutete Intentionen zu erarbeiten.

Zuletzt haben wir den Film mit anderen Medientypen von Propaganda (visuelle und Audio-Medien, Internet, Kunst und Literatur, Reden) verglichen und deren Stärken und Schwächen für die Indoktrination einer großen Masse diskutiert.

Quellen und Literatur
  • Triumph des Willens (1935, Regie: Leni RIEFENSTAHL, 114 min.), Fassung der Film Preserve: https://archive.org/details/iradeninzaferitriumphdeswillenstriumphofthewillturkcealtyazili
  • Martin LOIPERDINGER: Rituale der Mobilmachung. Der Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl, Opladen 1987.
  • Frank MÖLLER: Zur Theorie des charismatischen Führers im modernen Nationalstaat, in: Charismatische Führer der deutschen Nation, hg. v. F.M., München 2004, S. 1-18.
  • Kristina OBERWINTER: Bewegte Bilder. Repräsentation und Produktion von Emotionen in Leni Riefenstahls Triumph des Willens, München 2007.
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